20 Jahre Sprachmauerfall

20 Jahre Sprachmauerfall

Bekanntlich trennte Ost- und Westdeutschland nicht nur viele Jahre lang ein antifaschistischer Schutzwall, sondern auch eine sprachliche Mauer. Wie viel ist davon noch übrig bzw. wie gut verstehen sich Ost- und Westdeutsche 20 Jahre nach dem 9. November 1989? Viele DDR-Begriffe sind definitiv verschwunden, zum Beispiel die „raufutterverzehrende Großvieheinheit“ (Kuh), die „geflügelte Jahresendzeitfigur“ (Engel) oder das „Winkelement“ (Fähnchen). Wie gebräuchlich diese Ausdrücke im DDR-Alltag tatsächlich waren oder ob sie eher in den Bereich der Legenden gehören, vermag ich als Westdeutsche allerdings schwer zu beurteilen. Begriffe wie „urst“ oder „Kaufhalle“, die ich in meiner Anfangszeit in Ostberlin vor 15 Jahren noch häufiger hörte, scheinen mittlerweile durch die westdeutschen Pendants „total“ oder „voll“ bzw. „Supermarkt“ fast vollkommen verdrängt worden zu sein. Immerhin können sich im gastronomischen Bereich einige DDR-Ausdrücke behaupten: Zwar hatte die ostdeutsche „Grilletta“ keine Chance gegen den West-Hamburger, doch halten sich der „Broiler“ (Brathähnchen) und die „Ketwurst“ (Hotdog) zumindest in Ostberlin noch tapfer auf den Speisekarten mancher Imbisse. Auch die „Sättigungsbeilage“, ursprünglich in der DDR eine „Sammelbezeichnung für die in Gaststätten zu Fleischgerichten gereichten Kartoffeln, Reis, Nudeln, wenn bei Druck der Speisekarte nicht absehbar war, was zur Verfügung stehen würde“ (Birgit Wolf, Sprache in der DDR. Ein Wörterbuch, 2000, Artikel Sättigungsbeilage), hat in der Gastronomie überlebt. Ebenso finden sich in der Immobilienbranche noch einige DDR-Relikte, die mittlerweile auch überall in Westdeutschland verständlich sein dürften: die „Datsche“ und die „Zweiraumwohnung“. Tatsächlich gesamtdeutsch geworden sind Redewendungen wie das stilistisch etwas bedenkliche „Fakt ist“ (das aber auch ein Anglizismus sein könnte) oder die Uhrzeitangabe „viertel drei“ (Viertel nach zwei – ist mir allerdings auch aus Süddeutschland bekannt). Von den westdeutschen Siegern sollen an dieser Stelle nur das „Tempo“ (im Osten „Zellstofftaschentuch“) oder „surfen“ (statt „brettsegeln“) genannt sein. Hier haben im Sprachwettkampf Ost–West vielleicht einfach nur die weniger umständlichen Ausdrücke das Rennen gemacht. Wie würde das auch klingen – „im Internet brettsegeln“? (Eine Liste mit verschwundenen DDR-Ausdrücken gibt's übrigens hier. Auch im Lexikon der bedrohten Wörter finden sich vom Aussterben bedrohte Ostwörter.)