Digitalisierung
future!publish 2016
Am 28./29. Januar 2016 fand in Berlin die erste future!publish statt: In der Urania trafen sich knapp 300 Teilnehmer, um Fragen zur Zukunft der Verlagsbranche zu stellen und nach Antworten zu suchen. Als eine von mehreren Vertreter(inne)n des Lektorenverbands VFLL war auch ich dabei. Den Auftakt machte Chantal Restivo-Alessi (HarperCollins) mit ihrer Keynote, in der sie die Entwicklungen auf dem Buchmarkt in den USA skizzierte. Dort sind die E-Book-Umsätze seit einigen Jahren rückläufig, was laut Restivo-Alessi jedoch keine Rückkehr zum Printbuch nach sich zieht. Junge Zielgruppen legten vielmehr Wert auf temporären Zugang zu Inhalten, statt diese dauerhaft und in Printform besitzen zu wollen.
Print plus digital
Mit seiner Ausgangsfrage „Wie lassen sich Print und digitales Lesen verbinden?“ knüpfte Dr. Karl-Ludwig von Wendt, Mitbegründer des Start-ups Briends und (Selfpublishing-)Autor, gleich an Restivo-Alessis Feststellungen an. Angesichts des Preisverfalls lohne sich das Investment ins E-Book für die Verlage auf Dauer nicht, somit stehe aus Branchensicht nach wie vor das gedruckte Buch im Mittelpunkt. Auch viele Leser würden weiterhin das Printbuch schätzen. Mit der App Papego stellte von Wendt eine Anwendung vor, die es ermöglicht, gedruckte Bücher digital weiterzulesen: Der Nutzer scannt mit dem Smartphone die zuletzt im gedruckten Buch gelesene Seite, woraufhin die App die Folgeseiten digital zur Verfügung stellt. So kann man beispielsweise auf dem Weg zur Arbeit digital weiterlesen und zu Hause wieder zum Printbuch greifen.
Neue Berufsbilder rund ums Buch
Um Berufsbilder der Zukunft ging es im Workshop von Prof. Dr. Okke Schlüter (Hochschule der Medien, Stuttgart). Die Teilnehmer sollten sich ausgehend von Faktoren, in denen sie Treiber von Entwicklungen in der Buchbranche sehen, Szenarien überlegen, aus denen sich neue Berufsbilder ableiten lassen. Meine Gruppe definierte als ausschlaggebenden Treiber den Kostendruck für Verlage, der aus der Konkurrenz durch andere Unterhaltungsmedien und das Selfpublishing resultiert. Das daraus abgeleitete Szenario fassten wir unter dem Stichwort Wegrationalisierung zusammen. Wie können sich Verlage also gegenüber der Konkurrenz profilieren, um dem drohenden Szenario etwas entgegenzusetzen? Wir kamen zu dem Ergebnis, dass Verlage ihren Dienstleistungscharakter betonen müssen, also Autoren einen Mehrwert bieten, den sie als Selfpublisher nicht haben. Zum Beispiel mittels einer stärkeren Unterstützung durch Lektorat und Marketing. Wir fanden auch gleich einige schmissige neue Berufsbezeichnungen: Der Lektor wird zum „Autorencoach“, „Channel-Manager“ und „Data-Manager“, der Marketingmitarbeiter zum „Brand-Conceptualist“.
Ein neuer Markt für das Buch
In der Veranstaltung „Das Buch ist am Ende wird es digital“ stellten Hannes Kluge (Medienwissenschaftler) und Peter Mathews (Ökoinstitut e. V.) die Studie „Transformation 3.0“ des Ökoinstituts vor. Darin geht es um die Reaktionen der Verlagsbranche auf die Digitalisierung, wobei die Forscher drei vorherrschende Problemfelder der Branche bestimmt haben: Produktion, Distribution und Kommunikation. Das Hauptproblem der Verlagsbranche sehen sie in der Kommunikation zwischen allen Akteuren. Den passenden Ort für ein neues zeitgemäßes Forum könnte das Internet bieten. Die Forscher haben hierfür das Modell einer zentralen Datenbank entworfen, die jeweils sämtliche Informationen über ein Buch zur Verfügung stellt und darüber alle beteiligten Akteure – Verlag, Autor, Buchhandel, Leser, Presse – vernetzt. Besonders spannend fand ich, dass sich die Stichworte Vernetzung und Internetdatenbanken wie ein roter Faden durch die Beiträge zur future!publish zu ziehen schienen.
Crossmedial publizieren
An Tag 2 ging es weiter mit einem Vortrag von Dr. Peter Felixberger, Geschäftsführer von Murmann Publishers, der das crossmediale Publishing-Prinzip seines Verlages vorstellte. Murmann bringt Content nicht nur in Buchform, sondern setzt ihn parallel dazu auch in anderen Formaten um. Die Inhalte werden in eine „weitverzweigte Gesprächskultur“ überführt, indem über Kanäle wie Blogs, Filme etc. jeweils eine eigene Community rund um das einzelne Buch aufgebaut wird. Die crossmediale Publikationsweise hat natürlich auch Auswirkungen auf die internen Verlagsstrukturen: So arbeitet der Murmann Verlag eher nach dem Agenturprinzip und stellt für die einzelnen Projekte jeweils Teams auf. Dabei müssen die Mitarbeiter Fähigkeiten und Know-how mitbringen, die über die Anforderungen der traditionellen Verlagsarbeit hinausgehen. Der Lektor wird zum Contentdeveloper, der im Hinblick auf crossmediale Verwertungsstrategien Ideen entwickelt und umsetzt.
Plattform 1: VLB-TIX
Tom Erben (Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH) stellte VLB-TIX vor, eine neue Plattform für digitale Verlagsvorschauen. Verlage, Buchhändler, Journalisten, Blogger und Leser haben hier die Möglichkeit, sämtliche Informationen rund um ein Buch einzustellen und einzusehen. Den Verlagen will VLB-TIX eine Bühne für die Inszenierung von Verlagsinhalten bieten. Buchhändlern soll über die Optimierung von Abläufen mithilfe der zentralen Datenbank die Arbeit vereinfacht werden. Sie haben darüber hinaus die Möglichkeit, Informationen zu kommentieren und zu teilen und somit über die Produkte zu kommunizieren.
Interessanterweise tauchten auch hier wieder die Stichworte Internetplattform und Kommunikation auf. VLB-TIX könnte in einigen Aspekten dem Modell entsprechen, das die Studie des Ökoinstituts als Szenario eines gemeinsamen Marktplatzes für die Verlagsbranche entworfen hat.
Plattform 2: die Publishingexperten-Suchmaschine
Besonders spannend war für mich der Vortrag meines Kollegen Felix Wolf zur „Publishingexperten-Suchmaschine“ (eine Zusammenfassung gibt es im Lektorenblog des VFLL). Auch hier ging es wieder um Vernetzung und eine gemeinsame Plattform, und zwar für Dienstleister aus dem Publishingbereich. Felix Wolf stellte das Projekt einer Datenbank vor, in der Autoren und Verlage vom Lektor über den Grafiker bis zum PR-Manager alle Dienstleister finden können, die sie für die Produktion und Vermarktung eines Buchs brauchen – Crowdfunding gleich mit im Angebot. Der Vorteil für die potenziellen Auftraggeber liegt darin, dass sie die Buchprofis nicht mehr an verschiedenen Orten und über unterschiedliche Kanäle suchen müssen. Die Dienstleister wiederum erhalten eine starke Plattform, auf der sie sich und ihr Angebot präsentieren können. Das klingt nach einem echten Win-win-Modell, sowohl für die Dienstleister als auch für die Kunden!
Let’s work together!
Im interaktiven Vortrag „Fitnesstest: Kollaborative Kompetenz“ von Dr. Anja C. Wagner (FrolleinFlow GbR, ununi.TV) und Dr. Esther Debus-Gregor (edyssee, ununi.TV) war nichts weniger als die Zukunft der Arbeit Thema. Diese wird den Prognosen nach radikal flexibel und dezentral organisiert sein. Die Produktion von Content wird an keinen festen Ort gebunden sein, Arbeit und Freizeit werden immer mehr verschmelzen. Dabei wird die Kollaboration, das heißt die ergebnisoffene Zusammenarbeit an einem Projekt, an Bedeutung gewinnen. Die Kollaboration erfordert geeignete Tools und als ein solches stellten Wagner und Debus-Gregor die Kommunikationsplattform Slack vor, die das Kommunizieren innerhalb räumlich getrennt arbeitender Teams ermöglicht.
Mein Fazit
Die future!publish hat Einblick in die aktuellen Tendenzen, Diskussionen und Gedankenspiele der Verlagsbranche gegeben. Wo die Reise durch das Land Digitalien letztlich enden wird, steht noch längst nicht fest, aber es zeichnet sich ab, dass Print weiterhin eine Rolle spielen wird – in einer immer stärkeren Verwobenheit mit dem Digitalen. Die Akteure der Branche denken von unterschiedlichen Ausgangspositionen aus in Richtung Plattformen, die Kommunikation und Vernetzung ermöglichen sollen. Das Arbeiten wird dabei agiler und kollaborativer. Und hiermit haben Freie Lektorinnen und Lektoren seit jeher Erfahrung, zudem können sie die Verlage dabei unterstützen, ihr Profil als Dienstleister der Autoren zu stärken.
Lesetipp: „Flache Lektüre für digitale Gehirne“
Das Netz, mag es auch mit der Orthographie auf Kriegsfuss stehen, ist kein Medium des Analphabetismus. Aber es verändert die Art, wie gelesen wird. Über einen Bildschirm mit Text wandert das Auge anders als über eine Buchseite. Je länger der Text, so will der Leseforscher Jakob Nielson herausgefunden haben, desto mehr beginnt der Blick zu springen. Zeilen werden nicht zu Ende gelesen, man sucht Schlüsselbegriffe, Kernaussagen, Merksätze und atomisiert gleichsam den Gesamtzusammenhang. Vertiefung, Einfühlung, Interpretation? Dafür, so meint auch die Bildungsforscherin Maryanne Wolf, die die Verflechtungen von Sprache, Lesen und Gehirnentwicklung untersucht, reiche die digitale Lektüre nicht.